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Angeln ist ein Bestandteil des Projekts, um zu sehen, was sich so unter der Wasseroberfläche tummelt.
Angeln ist ein Bestandteil des Projekts, um zu sehen, was sich so unter der Wasseroberfläche tummelt.
Quelle: Oliver Kühn

Lujain Azizi guckt ziemlich angewidert. Die 15-Jährige ist gerade dabei, Würmer auf eine Angelrute zu spießen. „Das ist ekelhaft“, schaudert die Schülerin der Kooperativen Gesamtschule (KGS) Sehnde. Aber was tut man nicht alles für die Wissenschaft? Mit ihren Mitschülern aus der Klasse 10Gc hat sie sich im Rahmen der Projektwoche Gewässerökologie das Baggersee-Projekt des Anglerverbandes Niedersachsen (AVN) in Lehrte-Kolshorn angesehen. Das ist Forschung zum Anfassen: Die Schüler durften nicht nur angeln, sondern auch den See per Schlauchboot befahren und bekamen Einblick in die Feldarbeit der Wissenschaftler, wie man die Artenvielfalt in Gewässern nachhaltig fördern und unter einen Hut mit der Naherholung bringen kann.

Totholz im See versenkt

Mit dem Projekt will der Anglerverband den Baggersee in Kolshorn als Lebensraum für Fische und wirbellose Tiere wie Libellenlarven und Krebse, aber auch für Vögel aufwerten. Denn die meisten der rund 30.000 Baggerseen in Niedersachsen seien künstliche Seen, die beim Abbau von Kies und Sand entstehen, erläutert der AVN-Biologe und Projektverantwortliche Thomas Klefoth: „Naturseen gibt es nur wenige.“ Dazu wurde im Januar des vergangenen Jahres viel Totholz versenkt, um Flachwasserzonen zu schaffen – insgesamt 74 Holzbündel aus Ästen in kiesgefüllten Jutesäcken mit jeweils 300 Kilogramm Gewicht.

Thomas Klefoth erklärt Joleen Gäbel, wie der Echolot zur Tiefenbestimmung des Gewässers funktioniert.
Thomas Klefoth erklärt Lucie Jäntsch, wie der Echolot zur Tiefenbestimmung des Gewässers funktioniert.
Quelle: Oliver Kühn
 

Denn nach bereits 15 Metern gehe es im Kolshorner See steil nach unten, sagt Klefoth. „Dort gibt es kein Licht, und es wachsen keine Pflanzen als Nahrungsgrundlage mehr.“ Im flachen Wasser hingegen könnten Libellen und Fliegen nun ihre Larven ablegen. Mit dem Schlauchboot konnten die Schüler dies näher untersuchen. Mit einem Echolot wurde zudem eine Tiefenkarte erstellt – der Kolshorner See ist 15 Meter tief – und mit einer Unterwasserkamera wurde das Wachstum von Schilf und Weidenerlen registriert.

„Viele Pflanzen wachsen nur im flachen Wasser“, hat sich Lucie Jänsch gemerkt. „Die Krebsschere etwa, die Libellen Lebensraum bietet, ist bedroht“, sagt die 15-Jährige. Und die aus Asien stammende Seerose, die ebenfalls in Kolshorn wachse, verdränge heimische Arten. Rotaugen und Barsche seien hier die dominanten Uferarten, ergänzt Klefoth. Doch der Barsch sei ein Brut- und Nesträuber, der kleine Fische und auch Wasserinsekten fresse, die wiederum Nahrung für andere Tiere seien. Jenny Bach, die keinen Ekel vor den Maden hatte, hat gleich beim ersten Mal sogar einen gefangen.

Jagdfieber am Uferrand

Die Idee für den Unterricht vor Ort hatte Lehrer Kolja Hoffmann. Der 30-Jährige ist passionierter Angler seit seiner Kindheit. Die Schüler seien von dem Ausflug begeistert, denn beim Angeln packe einen am Uferrand das Jagdfieber. „Da strömt Adrenalin, denn man weiß nicht, was passiert, ob der Fisch anbeißt oder man ihn wieder verliert“, sagt Hoffmann. Dem kann Robert Marcov zustimmen. „Das ist ein schönes Gefühl, wenn man etwas fängt“, sagt der 16-Jährige. Er könne sich vorstellen, dass dieses Hobby süchtig mache. Eines sieht er nüchtern: „Dass ein Lebewesen dabei stirbt, gehört dazu“, sagt er.

Die Altersbestimmung wollten die Schüler aber lieber dem Biologen Klefoth überlassen. „Er bestimmt über Leben und Tod“, sagt Lehrer Hoffmann. Denn der Barsch muss getötet und aufgeschnitten werden, um am sogenannten Kiemendeckel, einer Knochenplatte, die Jahresringe zu erkennen. Hoffmann könnte sich auch eine Angler-AG an der KGS vorstellen, doch das dürfte angesichts der Lehrer-Abordnungen an Grundschulen, den Stundenkürzungen und damit dem Wegfall vieler AGs erstmals eine Zukunftsvision bleiben. Julia Sytschew fand den Ausflug jedenfalls gut: „Ich gehe sonst nicht an einen Baggersee, aber es war schön in der Natur, und auch das Keschern hat Spaß gemacht“, sagt die 17-Jährige.

Gesammelten Müll untersucht

Mit einem Echolot auf einem Schlauchboot wurde eine Tiefenkarte erstellt.
Mit einem Echolot auf einem Schlauchboot wurde eine Tiefenkarte erstellt. Quelle: Oliver Kühn

 

Weil Baggerseen nicht nur den Anglern, sondern auch der Naherholung dienen, haben die vorübergehenden Gewässerökologen auch Müll gesammelt. „Anhand des hinterlassenen Mülls kann man das Freizeitverhalten ablesen“, erklärt Klefoth. „Und die Gäste hinterlassen viel Müll.“ Die häufigsten Funde: Zigarettenkippen, Plastik, Feuerstellen. „Aber kaum Madendosen von Anglern“, resümiert der Biologe.

Ein Spaziergang am See des Fischereivereins Hannover sei erlaubt – Baden dagegen nicht. Kein Wunder, dass der größte Konflikt der zwischen Anglern und Badegästen sei. Der Kolshorner See ist dafür offenbar sehr verführerisch. „Das Wasser ist viel klarer als im Steinhuder Meer“, sagt Joleen Gäbel.

Lebensraum verbessern statt Fische einsetzen

Das sogenannte Baggersee-Projekt erforscht seit drei Jahren nicht nur den ökologischen Wert von Baggerseen, sondern auch den sozialen Wert als Naherholungsgebiet inklusive Angeln. Beteiligt sind das Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin, die Technische Universität Berlin sowie der Anglerverband Niedersachsen (AVN) mit 20 Vereinen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie das Bundesministerium für Umwelt und Naturschutz stellen dafür nach Angaben des AVN-Biologen Thomas Klefoth bis zum Jahr 2022 rund 1,9 Millionen Euro zur Verfügung.

Insgesamt werden 32 Untersuchungsgewässer verglichen, in acht Gewässern werden zudem Hegemaßnahmen umgesetzt. Dabei werden etwa Flachwasserzonen geschaffen und Totholz versenkt, um den Tieren mehr Schutz, Lebensraum und Nahrung zu bieten. In einigen Gewässern seien Fische wie Hechte, Zander, Rotaugen, Brasse und Schleie eingesetzt worden – 26.000 Tiere allein in Niedersachsen. Kostenpunkt: 15.000 Euro. Besser sei es aber, den Lebensraum zu verbessern, sagt Klefoth, auch wenn es teurer sei. Denn aus zu viel Konkurrenz unter Fischen entstehe Kannibalismus. In Kolshorn haben die Baggerarbeiten rund 250.000 Euro gekostet. Dort leben Hechte, Zander, Barsche, Rotaugen, Karpfen, Rotfedern und vereinzelt auch Aale.

 


 

 

 




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